Die Entsorgung nuklearer Abfälle in Deutschland ist in tiefen Gesteinsformationen geplant, die über geologische Zeiträume als Barriere wirken. Die langfristige Schutzwirkung der geologischen Barriere(n) hängt von vielen Faktoren ab, vor allem von geologischen Prozessen, die vielfach im Zusammenhang mit dem tektonischen Spannungsfeld stehen. Die Kenntnis des Spannunsgzustandes ist daher nicht nur für den Bau des Untergrundlagers relevant, sondern auch zur Beurteilung der Langzeitstabilität. Eine verlässliche Spannungsprognose im Vorfeld von Erkundungsmaßnahmen wird allerdings dadurch erschwert, dass nur wenige Messdaten verfügbar sind, bzw. das Spannungsfeld in seiner Orientierung und Magnitude nicht einheitlich ist. Vielmehr können in Abhängigkeit vom Untergrundaufbau (Lithologien, Störungen) lokal deutliche Abweichungen von der überregional bekannten Spannungsverteilung auftreten.
Um ein besseres Verständnis dieser räumlichen Variabilität des Spannungsfeldes zu erreichen, wurden durch das Projekt SpannEnD (2018-2022) erste geomechanisch-numerische 3D Spannungsmodelle für Deutschland erstellt. Diese Modelle wurden an punktuell gemessenen Spannungsdaten kalibriert und ermöglichen auf Basis kontinuumsmechanischer Ansätze Prognosen für Bereiche ohne Spannungsdaten und die Ableitung aller sechs unabhängigen Komponenten des Spannungstensors. Da bisher keine Datenbank für Spannungsmagnituden existierte, wurde im Rahmen des Projektes eine Spannungsmagnitudendatenbank für Deutschland und benachbarte Regionen erstellt. Der Spannungstensor des Deutschlandmodells wurde genutzt, um die Slip Tendency für mehrere Kompilationen von Störungsgeometrien zu ermitteln. Dieser Kennwert wir genutzt, um das Reaktivierungspotential von Störungen abzuschätzen. Zudem wurden erste Ansätze des Spannungsübertrages zwischen Modellen unterschiedlicher Größe getestet, sowie Methoden der Skalierung von Gesteinskennwerten getestet.
Das Projekt SpannEnD II (2022-2026) befasst sich mit der Weiterentwicklung und Verfeinerung des Spannungsmodells für Deutschland. In Hinblick auf eine verbesserte Modellkalibrierung soll dazu auch die Spannungsdatenbank erweitert werden. Gleichzeitig werden Submodellierungstechniken weiterentwickelt und in einen Workflow integriert, der eine Verknüpfung des Deutschlandmodells mit Teilgebiets- und Standortmodellen erlaubt. Diese Methodik soll an zwei Teilgebieten getestet werden. Darüber hinaus soll eine verbesserte quantitative Beurteilung der Verfahren für in-situ Spannungsmessungen erfolgen. Basierend darauf soll eine intelligente Beprobungsstrategie für zukünftige Bohrprogramme entwickelt werden, die zu einer möglichst großen Reduzierung der Ungewissheiten in der Spannungsprognose führt.